Der Tag beginnt leider wie er aufgehört hat. Das Knie ist stark geschwollen, knallrot und heiß. Ohne Belastung ist es ok, nur humpelnd geht es voran auf dem Trail in Richtung Campingplatz, wo wir uns erneut mit Jacob und Anna besprechen wollen. An ein Laufen ist nun gar nicht mehr zu denken, ich bin froh, wenn ich mich auf den Beinen halten kann. 

Nach einer Stunde erreichen wir Jacobs Camper und für mich steht die Entscheidung nun fest, dass mein Tag hier heute enden muss, um die Verletzung zu beruhigen. Der Rückstand von fast 20 Kilometern wäre zwar noch aufholbar, um den Rekord zu brechen, aber es wird zunehmend schwieriger.  Jacob schlägt vor, das Knie von einem Arzt anschauen zu lassen, während Jens auf der Etappe weiterläuft. Er hat sich das lange überlegt, sieht unsere Rekordpläne auch dahinschwinden und ist mit dem Gedanken, zunächst alleine zu laufen, nicht glücklich. Das Wetter ist mies und es geht bald wieder in den Berg. Die Route führt über die letzten Kilometer auf einem Bergrücken in Richtung Abisko, doch dort oben wartet erneut Wildnis, unklare Wegesituation, wenn überhaupt.

 

Das Krankenhaus

Während Jens weiterläuft und es nach Kilometern nicht weit hat, um den letzten Berg des Nordkalottleden hinter sich zu lassen, müssen wir einen mehrstündigen Umweg über Norwegen in Richtung Narvik nehmen und kommen von dort über Abisko zurück nach Schweden. Was für ein krasser Umweg! In Abisko fragen wir an der großen STF-Fjällstation nach einem Arzt, aber es gibt nur zwei junge Ersthelfer, die sich keine ärztliche Meinung zutrauen und uns raten, die knapp 100 Kilometer nach Kiruna zu fahren. Viel mehr gibt es in Abisko nicht: See, Bergstation, 300 Einwohner, ein Supermarkt, ein Restaurant, ein Hostel, Bahnhof und Busstation sowie eine vermutlich selbsternannte Schamanin.

Wir fahren weiter nach Kiruna und erreichen die Notaufnahme des Krankenhauses. Ein Hausmeister bastelt am elektronischen Türschloss herum und ich kann zunächst erst einmal nicht herein. Recht schnell geht es dann weiter und auch ein Arzt schaut sich das Knie fachkundig an und findet auch, dass das nicht gut aussieht. Wir machen ein Röntgenbild, glauben aber beide nicht, dass dort etwas zu sehen sein wird, denn Weichteile wie der Meniskus oder Bänder werden nicht abgebildet. So ist es, und wir besprechen weiter, was vorliegen könnte. Ein MRT steht gerade nicht zur Verfügung und erscheint mir auch ein wenig krass. Er vermutet eine Überdehnung des Meniskus oder einen Anriss. Beides verheilt relativ schnell wieder. Aber was und wann ist schnell?

Seine Assistentin kommt hinzu. UTMB-Trailrunnerin, sie versteht, was hier abläuft – kennt das Gröna Bandet, und weiß auch, was wir versuchen. Sie weiß auch, was ich hören will und was nicht. Zum Arzt sagt sie: „Er will morgen wieder laufen.“ Ja, genau das will ich, und ich habe ernsthafte Zweifel, ob die Bandage den Ausblick darauf verbessert.

 

Ein paar Minuten später sitzen wir wieder im Dovra und suchen im Gewirr gesperrter Straßen in Kiruna den Weg in Richtung Abisko. Dass ich schon sehr bald viel Zeit habe, um herauszufinden, warum diese Stadt eine einzige Baustelle ist, weiß ich an dieser Stelle noch nicht.

Knapp über eine Stunde später sind wir zurück in Abisko und treffen am Hostel auf Jens, der ein wenig angegriffen ausschaut – nicht nur körperlich. Er ist angekommen in der Zivilisation, hatte es aber auch schwer mit Dauerregen, schwierigen Trails und dem zähen Vorankommen. Die Gedanken ans Aufgeben und Daheim haben ihn gequält und erst das Ende des Nordkalottleden an der Verbindungsstraße zwischen Narvik und Abisko gab ihm Auftrieb. Als wir vor Stunden hier durchfuhren, gab es einen Ausblick auf herrliches Wetter und genau das hatte Jacob ihm gesagt. Leider war dem nicht so. Die letzten Kilometer an der Straße bis nach Abisko hatte ich absichtlich am Straßenrand geplant und nicht auf dem Trail, um Zeit zu sparen. Er hat es letztlich geschafft und vor mir das Hostelzimmer belegt, welches ich noch vom Krankenhaus aus online gebucht hatte. Ein Stockbett, ein Tisch und zwei Stühle. Das ist der neue Luxus und wir lieben es. Die Dusche muss auch als Waschmaschine herhalten und es ist unfassbar, wie viel Schlamm man aus wenig Stoff waschen kann.

 

Neue Pläne

Wir beschließen am Abend, den nächsten Tag zu pausieren und es am Folgetag erneut zu versuchen. Der FKT ist fort, aber die Story und das Abenteuer leben nach wie vor – sogar dramatischer als zuvor. Auf die Dramaturgie hätte ich gerne verzichtet.

Mit Jens’ Medivit-Cryo-Kit kühle ich das Schienbein herunter und es tut extrem gut. In den letzten Stunden war das Bein auch in Ruhe schmerzhaft, ist immer weiter angeschwollen und wurde immer heißer. Dem Knie dagegen geht es inzwischen etwas besser, aber trotzdem brauche ich eine Minute, um die paar Stufen aus dem 1. Stock des Hostels nach unten zu nehmen. Ein Trauerspiel.